„Guten Appetit!“ – Einblicke in den Stuttgarter Kochkurs

Foto vom Stuttgarter Kochkursteam

Foto vom Stuttgarter Kochkursteam

Dürfen wir uns vorstellen: wir sind das Kochkursteam. Wir haben an fünf aufeinander folgenden Donnerstagen zusammen verschiedene leckere Gerichte zubereitet.

Herr E., Herr S., Herr M. und Fr. W. als Teilnehmer, Malte Nunnemann und Silke Link-Schüle als Leiter und Leiterin des Kochkurses.

Ziel war es, Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung, die die Tagesförderstätte besuchen, die Gelegenheit zu schaffen, selbst zu kochen. Wir hatten die Möglichkeit, den Kochkurs in der neu eingerichteten rollstuhlgerechten Küche der Schule für Körperbehinderte in Stuttgart-Vaihingen zu nutzen. Über dieses Angebot haben wir uns sehr gefreut, die Benutzung dieser sehr gut ausgestatteten und räumlich großzügigen Küche bot uns viele Möglichkeiten der Einbeziehung aller Kochkursteilnehmer, mit ihren unterschiedlichen Behinderungen. Für den ganzen Kurs war es eine neue Erfahrung, in einer speziellen Rolliküche zu kochen. Im Rahmen dieses Kurses hatten wir außerdem die Möglichkeit, Hilfsmittel für Küche, die speziell für einhändig Arbeitende sehr nützlich und hilfreich sind und die wir noch nicht kannten, auszuprobieren.

Eine kurze Vorstellung der Kursteilnehmer:

3 Fotos: Kochen im Rollstuhl, direkt an einem unterfahrbaren Herd

Kochen im Rollstuhl, direkt an einem unterfahrbaren Herd

Pierre M. ist 36 Jahre alt und sitzt in einem Elektrorollstuhl. Er ist aufgrund eines frühkindlichen Sauerstoffmangels an allen vier Extremitäten spastisch gelähmt. Jedoch hat er seine linke Hand soweit unter Kontrolle, dass er z. B. ein Telefon oder ein Messer bedienen kann. Es hat Pierre sehr geholfen, dass wir im Kochkurs Kochgeräte verwendet haben, die ihm das Mitwirken erleichtert haben. So konnte er z. B. mit einer speziellen Schere, Kräuter, wie Dill oder Petersilie schneiden, da sich ihr Griff durch eine Feder wieder öffnet, sobald man den Griff etwas löst. Pierre, unser Gourmet, hatte große Freude am Kochen und zeigte auch starkes Interesse die Rezepte im Privaten einmal nachzukochen.

Monika W. ist eine 50 Jährige lebenslustige und offene Frau, die nie um einen Spruch verlegen war. Sie wohnt in Stuttgart in einer eigenen Wohnung, welche vom Körperbehinderten-Verein Stuttgart betreut wird. Vermutlich wird sie in näherer Zukunft eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) besuchen. Da sie aber noch auf einen Platz wartet, hatte sie Zeit und Lust, am Kochkurs teilzunehmen. Der Kochkurs hat ihr sichtlich Spaß gemacht, sie verbreitete gute Laune und erheiterte die anderen Teilnehmern mit Singen oder Witzen. Bei der Zubereitung der Speisen war es ihr immer sehr wichtig, Zwiebeln oder Knoblauch sehr fein zu schneiden und sie rügte andere auch hin und wieder, wenn sie es nicht genauso machten.

Gerd E. ist ein 60-jähriger Elektrorollstuhlfahrer, der zwar nicht alles isst, aber immer hilft, Gerichte zuzubereiten. Aufgrund eines Schlaganfalles ist er halbseitig gelähmt und kann seine rechte Hand nur bedingt einsetzen. Da er aber alles andere, wie z.B. Karotten schälen, Zwiebeln anbraten oder Rouladen wickeln mit „links“ erledigt, schränkt dies seinen Eifer nicht ein. Mit seiner gemütlichen und abwartenden Art bildete er ein interessantes Kontrastprogramm zu den temperamentvolleren Teilnehmern.

Unser vierter Teilnehmer Gerhard E. ist mit seinen 64 Jahren der „Dienstälteste“

Unser vierter Teilnehmer Gerhard E. ist mit seinen 64 Jahren der „Dienstälteste“

Unser vierter Teilnehmer Gerhard E. ist mit seinen 64 Jahren der „dienstälteste“. Auch durch einen Schlaganfall ist er halbseitig gelähmt, kann aber gehen und seine rechte Hand bedingt, seine linke vollständig einsetzen. Sehr routiniert und gewissenhaft hat er ganze Berge von Äpfeln geschält, Zucchini geschnitten oder Gemüse blanchiert. Seine langjährigen Erfahrungen aus der Kochgruppe der Tagesförderstätte des KBV kamen ihm hier zugute. Er war offen für neue Ideen und Werkzeuge, z.B. eine Apfelschälmaschine, die die ganze Schale am Stück durch Bedienen einer Kurbel vom Apfel schält, welche er auch mit einer Hand bedienen kann, da sie mit Saugnäpfen am Tisch befestigt war.

Unter erweiterten Bedingungen kochen zu können, heißt zum Beispiel: im Rollstuhl direkt an den unterfahrbaren Herd zu fahren und dort Fleisch anzubraten oder Crepes zuzubereiten. Die Temperaturregler der Kochplatten sind somit auch gut einsehbar und regulierbar, da sie sich direkt neben den Platten befinden. Die Regulierung der Temperatur über die Klickschalter war in dem Fall sehr hilfreich, und diese konnten unsere Kochkursteilnehmer auch weitgehend selbstständig bedienen.

Die Küche bietet große Arbeitsflächen, die alle unterfahrbar sind und in der Mitte einen Tisch, an dem man Tätigkeiten im Sitzen gut durchführen kann. Die jeweiligen Rezepte haben wir mit Fotos versehen, so dass die einzelnen Schritte der Zubereitung leichter ersichtlich sind. In laminiertem Zustand konnten wir sie gut neben der Zubereitung liegen lassen und immer wieder einen Blick drauf werfen.

3 Fotos: Schälen, Schneiden, Zubereiten

Schälen, Schneiden, Zubereiten

Zu Beginn der einzelnen Kurse haben wir die Zubereitung der Speisen besprochen und überlegt, wer mit wem welche Arbeitsvorgänge durchführen könnte.

Für unsere Teilnehmer, die sehr gerne Fleischgerichte essen, war klar, dass sie vor allem an der Zubereitung des Fleisches interessiert waren und z.B. beim Wickeln der Rouladen aktiv waren oder beim Anbraten des Fleischs für die Gulaschsuppe! Bald stellte sich heraus, dass Monika ein besonderes Talent besitzt, Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer oder den Dill aufs Feinste zu schneiden. Also waren wir froh, dass sie vor allem die Feinarbeit übernahm.

Gerhard war sehr daran interessiert, sich für einen bestimmten Part zuständig zu fühlen. So war er als Vegetarier zuständig für die Schichtung der vegetarischen überbackenen Crepes oder für die Zubereitung des Nachtischs oder der gebackenen Kartoffeln.

So konnten wir mit ihm zu Beginn mehrere Arbeitsschritte auf einmal besprechen, die er dann nach und nach ausführte.

Zusammen mit Pierre, mit dem wir gemeinsam verschiedene Küchenhelfer ausgesucht hatten, probierten wir diese nun in der Praxis aus. Was uns begeistert hat, ist das Schneidebrett mit verstellbarem Festklemmteil,( wie eine Art Hobelbank), in das wir Zutaten wie Staudensellerie, Paprika, oder eine Ananas sehr gut fixieren konnten und die Teile beim Schneiden nicht mehr verrutschen konnten. Gerhard hat das Brett benutzt zum entkernen der Äpfel für das Rezept „Gefüllte Äpfel“. Er hat die einzelnen Äpfel eingeklemmt und konnte mit dem Apfelstecher das Kernhaus herausstechen ohne dass ihm die Äpfel davon gekullert wären. Gerd hat damit eine Ananas hervorragend schälen können oder Pierre hat den Staudensellerie eingeklemmt und konnte ihn somit in kleine Stücke schneiden.

Ein weiteres Schneidebrett mit vier kleinen Metallstiften, auf die man Gemüse oder Obst zum bearbeiten aufstecken kann, war für Mangos, Paprikas usw. hilfreich.

Mit der Küchenschere, die wie eine Gartenschere funktioniert, konnte Piere in einer Schüssel Petersilie schneiden für die Rouladenfüllung.

2 Fotos: Hier wird mit dem Schneidebrett mit verstellbarem Festklemmteil gearbeitet.

Hier wird mit dem Schneidebrett mit verstellbarem Festklemmteil gearbeitet.

Auf den flexiblen dünnen Plastikunterlagen konnten wir die Rouladen bestreichen und füllen, sie sind im Gegensatz zu Holzbrettern sehr gut zu reinigen.

Messer mit einem speziellen Haltegriff konnte Pierre gut einsetzen zum Schneiden der Fleischstücke für die Gulaschsuppe und der Fischfilets.

In der Schulküche entdeckten wir die kleine Apfelschälmaschine, der wir auf den ersten Blick nicht sehr viel zutrauten, aber nachdem sich Gerhard intensiv mit ihr auseinandersetzte, brachte er ein sehr gutes Ergebnis zustande. Die Äpfel werden auf eine Steckvorrichtung gesetzt und von einem kleinen flexiblen Messerchen abgeschält, indem man eine kleine Drehkurbel betätigt, das ist einhändig auch sehr gut zu schaffen.

In der Planungsphase nahmen wir uns vor, Speisen zuzubereiten, die unseren Teilnehmern noch nicht so vertraut waren, denn wir wollten einfach mal was Neues ausprobieren. Trotzdem sollte der Ablauf der Zubereitung nicht zu kompliziert und überschaubar sein. Außerdem versuchten wir, die Teilnehmer soviel wie möglich direkt am Herd arbeiten zu lassen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie man z.B. Zwiebeln anbrät, welche Stufe der Platte man einzustellen hat, wie oft man sie hin und her wenden muss usw.. Darüber hinaus wurden wir mit der Zubereitung von Nachtischen vertraut, die einfach zuzubereiten sind und der Mahlzeit einen festlichen Charakter verleihen.

Und so hat Pierre als Kochkursteilnehmer das Ganze erlebt:

Foto: Pierre bei der Zubereitung von Crêpes

Pierre bei der Zubereitung von Crêpes

Der Kochkurs war für mich eine völlig neue und lehrreiche Erfahrung. Da die Küchenzeile mit dem E-Rollstuhl unterfahrbar war, konnte ich z. B. den Crepes-Teig mit einer Schöpfkelle mit wenig Hilfe in die Pfanne geben. Ich konnte den Crepe mit wenig Unterstützung wenden. Außerdem habe ich gelernt, Garzeiten einzuschätzen und dass Kochen Geduld und Planung braucht. Aber Kochen kann sehr hektisch werden, man muss immer den Überblick über die Töpfe und Pfannen behalten.

Es gab verschiedene Hilfsmittel zum Ausprobieren. Ich kam am besten mit der Einhand-Schere zurecht. Ich habe mir überlegt, die Schere für Zuhause anzuschaffen. Da ich gerne esse, fand ich den Kochkurs gut, da ich zum ersten Mal die Möglichkeit hatte, für mich selbst zu kochen. Außerdem habe ich neue Rezepte für Zuhause gelernt.

Unser Fazit

Foto: Ein Tablett mit Schälchen voller Obstsalat

Ein Tablett mit Schälchen voller Obstsalat

Insgesamt war der Kochkurs eine große Bereicherung für uns alle, mit dem Ergebnis konnten wir u. a. unsere Kollegen in der Tagestätte beglücken, die gerne mitverkosteten, was wir produziert haben.

Die Teilnehmer – und wir als Leitung – hatten großen Spaß. Wir lernten den Umgang mit Küchengeräten, die speziell für Menschen mit Behinderungen entwickelt wurden, kennen. Sie erleichterten das Schnippeln – und machten eine zweite Hand ganz oder teilweise überflüssig. Die Teilnehmer lernten neue Rezepte und Speisen kennen und erlebten den kompletten Ablauf der Zubereitung bis hin zur fertigen Mahlzeit. Außerdem konnte sich das Selbstwertgefühl verbessern und die Teilnehmer können zu Recht stolz auf ihre Leistungen sein.

Die Anstrengungen haben sich gelohnt, meinen nicht nur Malte Nunnemann und Silke Link-Schüle. Guten Appetit!


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